Ein Widerspruch ist der Name Angerstein in sich: Unter ‚anger’ ist eine tief liegende Wiesen- / Weidefläche zu verstehen, zu feucht für Ackerbau. Der größte Teil der Flur des mittelalterlichen Dorfes Angerstein* war Anger. Das Grundwort ‚stein’ weist auf eine vorwiegend steile Anhöhe hin; im Ort gibt es sie nicht. - Nun liegt einen Kilometer nördlich das ehemalige Benediktinerkloster Marienstein. Dieses befindet sich in der Tat auf einem Höhensporn. Sein Name war bis eingangs des 17. Jh. Steina. Naheliegend wäre nun anzunehmen, der Ort Angerstein hätte als Anger für das Klostervieh gedient und daher seinen Namen erhalten, Anger(von)Stein(a).
Johannes Thomas Willich: Entwurf des Klosters Marienstein und der Angersteiner Feldflure … 1760 (Ausschnitt)
Dagegen spricht, dass ein Flurstück zwischen dem Kloster Marienstein im Norden und dem südlich gelegenen Dorf Angerstein auf einer Karte von 1760 Zwischen dem Steine und dem Kloster als Flurnamen trägt. Das lässt vermuten, es habe dort tatsächlich ein Stein bzw. ein steinernes Denkmal existiert. Für diese Annahme spricht, dass, hier noch erkennbar, diagonal über die Fläche von Südost nach Nordwest der frühmittelalterliche Hellweg zu der links oben auf der Karte angedeuteten Leinebrücke (erstmals 1055 erwähnt) führte. Üblicherweise wurden im Mittelalter an derartigen Fernverbindungswegen u. a. steinerne Sühnekreuze aufgestellt.
In der Grenzbechreibung des plessischen Herrschaftsgebiets anlässlich der Übernahme durch Hessen-Kassel im Jahre 1571 heißt es: „Die Roda (Rodebach) hienab, und fürders zr rechten hand über das Rodeland den weg hinaus, uf die creutze, so am wege hinder dem kloster Steina stehen, und da dannen fürtters bis dahin, da die Aspel (Espolde) in die grosse Leyne fleusset.“
Die Abbildung zeigt einen der drei steinernen Scheibenkreuzsteine, die im Angersteiner Wald stehen. Anfang des 19. Jh. waren sie dort als Grenzsteine in Zweitnutzung eingegraben worden. Unbekannt ist ihr ursprünglicher Aufstellungsort. Man ist versucht zu spekulieren, ob sie die ‚creutze’ aus dem Umfeld des Klosters Marienstein sind.
Und noch ein gewichtiges Indiz. Sagen beinhalten oft einen historischen Kern. Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm haben im zweiten Band ihrer Sammlung deutscher Sagen (1816 und 1818) unter der Nummer 546 die ‚Sage von den Schwanringe zu Plesse’ abgedruckt. Darin wird unter anderem von der Ermordung eines Ritters derer von Schwanring / Plesse wiedergegeben und von der Aufstellung eines Sühnesteins durch den Mörder berichtet. Der Text endet: „Die Schäfer zeigen noch die Stelle, wo Sieghart erschossen wurde (zwischen den Dörfern Angerstein und Parenhosen), und fügen hinzu: dass auch daselbst ein steinern Creuz gestanden habe, das Schwanringer Creuz genannt.“
Fazit: Ein Stein hatte einst - der Sage nach - auf dem Anger gestanden (und war - vielleicht-Namen gebend gewesen).
Schreibweisen des Namens Angerstein: (Casemir, K., Menzel, F., Ohainski, U.: Die Ortsnamen des Landkreises Northeim, 2005, S.32 f.)
1082 (Fälschung des 12. Jh.)
Angersten
1139
Aggerstein
1150 (Abschrift Anfang 16. Jh.)
Angerstheim
1150 (Abschrift Anfang 16. Jh.)
Angerstein
um 1263
Angersten
1318
Angerstene
1376
Angersteyn
1409
Angersteine
1433
Angersteyn
1493
Angersteyna
1535
Angersteyn
1588
Anngerstainn
1620
Angerstein
1784
Angerstein
1823
Angerstein
Ergänzende Splitter:
In Ungarn gibt es die Stadt Szombathely unweit der österreichisch-burgenländischen Grenze. Ihr früherer Name lautete Steinamanger. Diese Namensbildung mag mit der Angersteins vergleichbar sein.
Im Dachsteingebirge gibt es den 2.100 m hohen Angerstein im Gosaukamm, ein bei Bergsteigern beliebter Gipfel.
Berühmtheiten mit Namen ‚Angerstein’ sind der Schwede Reinhold Rücker Angerstein (1718 - 1760) und der Engländer John Julius Angerstein (1735 - 1823). Zumindest bei ersterem führen schwedische Genealogen den Ort Angerstein als Namens gebend an. Vorfahren des Engländers mit Namen Angerstein wurden in Kulmbach ausgemacht.